So. Ich spiel’ jetzt einfach nicht mehr mit. Ich bin raus aus dem Game. Macht ihr ruhig. Da lass’ ich es lieber bleiben, das ist mir zu blöd. Lieber kein Sex als sowas; lieber keine Liebe als so eine; lieber keine Zweisamkeit als in so einer anspruchslosen Welt. Mir reicht’s, ich bin raus.
Ist. Das. Eklig.
Um’s mit einem deutschen Rapper zu sagen:
Sag dei’m Girl, sie kann gehen, nein, sie turnt mich nicht an
Harry Quintana
Los, zieh dein Shirt wieder an
Vielen lieben Dank
Vielen lieben Dank
“Ohne tiefere emotionale Verbindung kein Sex.”* “Für diesen Graubereich zwischen Asexualität und Sexualität gibt es übrigens etliche Bezeichnungen.”** Nun, ich goe jetzt feminin und sage ganz mit der Autorin: “Demisexulität, [das] Ganze ist weder anerzogen noch auferlegt oder ein Defekt, sondern es ist einfach so.”* Es ist einfach so. Habt ihr gehört:
Es. Ist. Einfach. So. … Q. E. D.
Und ich dachte immer, der Ekel wäre einfach das normale Gefühl, das man bei all dem halt hat. Denn… nun…, ja, das Denn folgt nun.
Aber erstmal: Demisexualität — Was ist das?
“Wir müssen […] aufhören, in Schemata zu denken und uns daran gewöhnen, dass die gewohnten Begrifflichkeiten längst nicht immer die Realität abbilden.”** Genau. Hört auf in Schemata zu denken. Demisexuell, das liegt irgendwo zwischen Sexualität und Asexualität. Die jeweilige romantische Orientierung ist dann sowas wie der am östlichen Horizont aufgehende Grad des Tierkreises der sexuellen. Und was lässt sich da am Horizont der romantischen Orientierungen ausmachen: Hetero-, homo-, bi-, pan- und aromantisch.*** Diese und noch ein paar andere Orientierungen kann ich in meinem Dating-Profil auswählen. Und dann ist das einfach so — weder anerzogen, noch auferlegt, das ist einfach so — , vielleicht nehme ich es morgen wieder raus und überlege mir eine neue. Denn ich kann mir auch meine eigene erstellen: meine ganz persönliche, sexuell-romantische Orientierung.
Sexfragen
Bin ich also wirklich demisexuell? Sechs Fragen bietet mir die Autorin bei gofeminin.de an, um herauszufinden, ob ich demisexuell bin, wenn ich sie alle mit ‘Nein’ beantworte, spricht viel dafür, dass dem so ist.
- Habe ich mich schon mal zu einer fremden Person hingezogen gefühlt?
Ständig, ich brauche nur auf die Straße zu gehen.
- Gibt es Prominente/Berühmtheiten, die ich körperlich anziehend finde?
Prominente? Die interessieren mich allgemein nicht sonderlich.
- Habe ich manchmal sexuelle Fantasien, die nicht die Person betreffen, die ich liebe?
Was zur Frage wird: Habe ich sexuelle Fantasien? Daher: Ja. Mit komplett Fremden? Selten bis nie.
- Hatte ich schon mal Sex mit jemandem, den ich nicht geliebt habe?
Ja.
- Ist Sex für mich ein wichtiger Teil der Beziehung?
Was ist schon wichtig? Ein schöner Teil, idealerweise ist es ein weiterer, schöner Teil, aber… auch wichtig, ja.
- Fällt es mir schwer, längere Zeit keinen Sex zu haben?
Ja. Aber sind wir jetzt soweit, dass wir Dinge tun, nur weil es uns schwerfällt, sie nicht zu tun? Es fällt mir auch schwer, keinem der top ausgerüsteten, aber vollkommen unfähigen Münchner Jogger, ein Bein zu stellen, wenn sie vorbeilaufen — sollte ich es deswegen einfach mal tun? Immerhin entspricht es meiner inneren Orientierung.
Also: So gut wie alles mit ‚Ja‘ beantwortet. Man könnte nun meinen: Es ist geklärt, ich bin nicht demisexuell. Doch… die Definition passt. Außerdem wird mir nahegelegt, ich sei demisexuell und immerhin sind in Sachen Demisexualität Dinge weder anerzogen, noch auferlegt oder ein Defekt, sondern können einfach so sein. Ich glaube: Ich bin es einfach.
Und: Es gibt Indizien.
Retrospektives Indiz
[…] nur, weil die Erfahrung jedes anderen Menschen so hundertmal echter, unersetzlich zu sein scheint; nur weil jede nennenswerte Erfahrung, die ich sammle, nichts in mir berührt und nur die absoluten Kleinigkeiten, das Kaumerwähenswerte, die sporadische, sich durch nichts ankündigende, ebenso verwirrende wie verwirrte Zeit mit dir, für deren Berühren, ja für deren Mich-Berühren, in seiner Unangebrachtheit und Nichtnachvollziehbarkeit ich mich doch eigentlich sogar schämen sollte, weil sie mir die erbarmungslose Willkür meiner Gefühle noch vor Augen hält, mir den Stoff gibt, den die anderen Menschen in ihren echten Erfahrungen finden; … nur diese absoluten Kleinigkeiten, nur dieses Kaumerwähnenswerte macht irgendetwas mit mir.****
aus dem Beitrag „SK1“
Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und sage: Das ist die Erfahrung eines demisexuellen Menschen. Das ist der Zweifel eines Menschen, der noch denkt, er sei ein sexueller, der sich noch umsieht, bevor er sich kopfschüttelnd umdreht und beginnt sich zur Asexualität hinzuorientieren.
Denn der demisexuelle Mensch zieht mehr aus einem nervösen Lächeln über ein paar Fahrräder hinweg als aus einer haltgeschehenen Nacht, mehr aus einem Gespräch über Für und Wider des Feminismus in Deutschland als daraus, dass sie weiß, dass kreisende Bewegungen mit der Zunge um die Schamlippen eine ihrer noch weniger kinky Vorlieben sind, mehr aus 45 Minuten Sprachnachrichten am Morgen auf dem Handy als aus einem gestreicheltem Skrotum während der Ejakulation, mehr aus einem verzweifelten “weil ich dich halt mag!” als aus einem weiteren “Ich liebe dich.”. Und mehr als das: Er zieht alles aus dem nervösen Lächeln; die haltgeschehene Nacht hingegen widert ihn an.
“Was ist er nur für ein Unmensch?”, fragt der sexuelle Mensch da. Und ich versuche ihm, ein paar Dinge über den demisexuellen Menschen zu erklären.
Ursachenforschung
Lasset uns beginnen.
Wir lernten bereits, dass der Demisexuelle tendenziell nichts oder nicht viel aus den sexuellen Erlebnissen mit Fremden zieht. Vielleicht sollte ihm Sexualität daher einfach egal sein. So wirkt das zumindest im gofeminin-Artikel. Doch meine Vermutung ist, dass “Sex ohne Gefühle wie zum Beispiel One-Night-Stands mit Menschen, die man nicht kennt, […] für Demisexuelle [… ganz und gar nicht] nicht vorstellbar”** ist, er sich vielmehr vor der Sexualität seiner Mitmenschen ekelt. Dass diese Sexuellen keine leere Empfinden, wenn sie ihren Körper an den Körper eines anderen Menschen reiben, der sich primär dadurch auszeichnet, dass er ihrer sexuellen Orientierung entspricht; dass sie kein Problem damit haben, dass der Fremde für sie ebenso völlig austauschbar ist, wie sie es für ihn sind, begreift er nicht.
Der Demisexuelle betrachtet und lernt: Nachdem der Menschheit die Hoffnung auf eine Wolkenheimat verloren gegangen ist, dämmert ihr, dass es das Tierische ist, das den wahren Menschen auszeichnet. Jeder gibt dem anderen, was er gerade braucht: ein Stück Fleisch zum “Liebe machen”.
Kant kann beim sexuellen Menschen einpacken. Dass die beiden Sexualpartner Mittel zum Zweck sind, stört nur den demisexuellen Menschen; der sexuelle Menschen findet daran nichts verwerflich oder auch nur problematisch. Die sexuellen Menschen geben sich ihren Trieben hin, wie sie über sie kommen: “Ausdruck ihrer sexuellen Freiheit” nennen sie das. Keuchend kommt diese Freiheit in einer Fast-Food-Kette an, bestellt sich ein paar saftige Schenkel, beißt lustvoll hinein, ruft “Ich bin der Höhepunkt der Evolution.” und dann tropft auch schon ein wenig zähflüssige Mayonnaise aus dem erschlaffenden Mundwinkel. … Der demisexuelle Mensch steht angewidert daneben, orientiert sich weiter Richtung Asexualität.
Trotzdem kann er nicht anders als sich weiter umzusehen. Findet mehr über die sexuellen Menschen heraus: Sind sie Single, suchen sie Hook-ups, um wieder ein wenig Befriedigung in diesem leeren Leben zu empfinden. “Und ‘s ist ja auch nichts dabei.”, sagen sie — wundern sich, dass es so ist. Immer weniger und weniger ist da dabei. “Sie. Wundern. Sich. …”, denkt sich der Demisexuelle.
Meist sind die sexuellen Menschen aber in einer Beziehung, denn es fällt ihnen eben schwer, längere Zeit keinen Sex zu haben. Was soll man da auch machen? Oft entstehen diese Beziehungen aus Hook-ups, aus diesen Beziehungen dann Ehen und spätestens aus den Ehen dann bald Kinder. Der sexuelle Mensch nennt das “Liebesglück” — wundert sich, dass es nicht hält, was es verspricht.
Bei all dem steht es dem demisexuellen Menschen natürlich fern zu werten, denn er hat gelernt: Werte?, wer braucht schon Werte, wenn man Hormone haben kann, wenn man die Endorphine so schön ballern hören kann; Werte?, oh nein!, die könnten im schlimmsten Fall ja dann dazu führen, dass man wertet!… und dann könnte sich jemand angegriffen fühlen. Weil? Ja, warum eigentlich?… Nun, der demisexuelle Mensch hat das alles eben noch nicht so ganz begriffen und er kann nicht anders: Die Sexualität, die in der schönen, neuen Welt seiner Mitmenschen propagiert wird — jeder gehört jedem — , widert ihn an. John will nicht mit Lenina schlafen, so sehr er sie auch vergöttert. Manch ein demisexueller Mensch will mit diesen sexuellen Menschen nicht intim werden, nicht mal, wenn sie ihm gefallen. Dann, so sagt man ihm, ist er endgültig asexuell geworden.
Zusammenfassend kann man also sagen: Die Demisexuellen vereint der Hang zur Asexualität. Manch einen von ihnen, weil er sich denkt: “Wah! Fass mich nicht an!”. Aber da kann man nichts machen. Das ist nun mal so. Demisexuell nennt man das. Interessant. Das ist nicht anerzogen oder auferlegt, kein Defekt, das ist einfach so.
Marco
Footnote
Wenn mir nun jemand sagt, dass Demisexualität doch etwas ganz anderes ist(!). Dann muss ich leider noch anmerken: “Diggie… .”
Kommentare von Marco Zander