Was folgt ist nur ein kurzer Ausschnitt, nur ein paar unzureichende Porträts. Irgendwo zwischen notwendig und schön.
Gedankenfluss*
Ein Gedankenfluss also… und wie in Heraklits Fluss, so kann auch in den eigenen Gedankenfluss niemand zweimal steigen, weil es nie der selbe Fluss sein wird, in den du steigst, und du dich selbst jedes mal verändert haben wirst, wenn du in ihn steigst. … Find’ ich gut, verstehe ich, ergibt Sinn. Was für eine schöne Metapher der Gedankenfluss doch ist.
Also: “Lieber Kopf, den Gedanken kenn’ ich jetzt schon… du wirst langsam unglaubwürdig. Ich habe mich verändert und alles andere auch. Bring ihn daher nicht jeden Morgen wieder. Wenn du so weitermachst, kann ich weder dich noch die schöne Metapher weiter ernst nehmen. Und wenn wir ehrlich sind, wäre es doch schade… um euch beide, lieber Kopf.”, dachte ich und machte weiter.
Und die Metapher? Die Metapher schreibt Tagebuch; gerade schreibt sie einen neuen Eintrag — jetzt hat man sie soweit… jetzt wird sie auch das noch, was sie immer nur ganz leise gedacht hat, weil sie Angst davor hatte, dass es sonst erst recht wahr werden würde, aufschreiben. Aber — nein! — jetzt: schreibt sie es auf. Es ist genug! Sie blickt trotzig auf zu mir, schaut mich vorwurfsvoll an, blättert viele glanzvoll verzierte Seiten zurück und deutet dann auf den Eintrag von vor einigen Monaten: ‘Da. Sieh! Von wegen! Nichts hat sich verändert!’; und als wäre das nicht schon genug, blättert sie noch weiter zurück und deutet auf den Eintrag von vor einigen Jahren. Nein, es reicht: Jetzt wird sie es aufschreiben!
Gefühlswelt
Eine Gefühlswelt also…, die immer gleich zu bleiben scheint, in der es nur immerzu in zyklischen Bahnen auf und ab zu gehen scheint, so viel sich auch um sie verändert; die dem Fluss seine frustrierend konstanten Grenzen aufweist; eine Gefühlswelt, die die Wirkursache anscheinend noch nicht kennengelernt hat; die alle Veränderung und Erfahrung daher als Illusion abtut. … Versteh’ ich, ergibt Sinn. Was für eine stehengebliebene Vorstellung diese Gefühlswelt doch ist.
Also: “Liebes Ich, das Gefühl kenn’ ich jetzt langsam schon… hast du nicht gehört? Du weißt es doch besser. Es gibt noch andere Ursachen und die machen, dass es sich verändert; die Umstände, die sich verändert haben, sind nicht solch eine Ursache — und: wir hatten sie doch auch nie dafür gehalten. Sei also nicht frustriert. Es ist nicht alles sinnlos. Das wird schon noch. … Hoffe ich… für uns, liebes Ich.”, dachte ich und machte weiter.
Was die stehengebliebene Vorstellung denkt? Das weiß ich leider nicht. Sie hat wohl ein wenig Angst davor, dass mit ihr auch Teile der Gefühlswelt verloren gehen, die dann vermisst würden, wenn es mal so weit kommen sollte, weil es sie doch — hah! — brauchte. Aber sie sollte sich freuen. Nicht jetzt schon darauf warten, dass ihr Moment, ‘hah!’ zu sagen, kommt. Nein, sie sollte die Angst nicht dazu werden lassen. Sie sollte sich freuen, denn: sie wird sich verändern. Sie gewinnt etwas dazu; gewinnt etwas, über ihre fatalistische, oft uns beide so frustrierende, Weltanschauung, Hinausgehendes, dazu; sie gewinnt: eine Wirkursache und mit ihr ein wenig Freiheit. Sie ist dann doch nur keine stehengebliebene Vorstellung mehr, bleibt aber noch immer reiche Gefühlswelt und bekommt Gesellschaft von einer Wirkursache, deren schöne Gestalt bald vorgestellt wird, die alleine wiederum allzu leer ist. Und dann wird sie sehen, dass es es wert war; wird mit ihrem alten Ich mitfühlen; verstehen, woher ihre Verlangen, ‘hah!’ zu sagen, kam und stolz darauf sein, es überwunden zu haben; wird stolz auf sich sein. Ja: Dann wird sie stolz auf sich sein.
Lebenssinn
Ein Lebenssinn also…, der uns durch das Leben führt; ein Lebenssinn, auf den man nur zu hören braucht und es wird besser. Ja… das hört sich gut an. Was für eine schillernder Fisch der Lebenssinn doch ist… im Fluss… in der Welt.
Also: “Liebes Leben, … bei dir fehlen mir schön langsam die Worte. Ich…— Saug’ mich nur nicht zu sehr aus, bevor ich wieder aufatmen kann. Erhalt’ mir immer noch genug, um doch wieder nach Luft schnappen zu können. Und doch… das ‘Danke’ überwiegt. Danke, dass du dich doch immer wieder zeigst; immer wieder von dir hören und fühlen lässt. Ich werde es also weiter versuchen, bring mir bitte etwas bei und zeig’ mir noch öfter deine schönen Seiten; damit auch ich noch öfter meine schönen Seiten zeigen kann — damit… wir es so vielleicht ein wenig besser machen können. … Danke, liebes Leben.”, dachte ich und machte weiter.
Der schillernde Fisch? Der denkt gar nicht — er hat auch keine Gefühle. Und so schwimmt er und summt … Melodien, ♫ “Ummmmm” ♫, die ineinander übergehen und zu denen er sich bewegt. Und so schwimmt er, zumindest eine Weile, auch noch im dreckigsten Abwasser. Er schwimmt und summt… Melodien, ♫ “Ummmmm” ♫, die ineinander übergehen und zu denen er sich bewegt.
♫ “Ummmmm” ♫
Ob er es wohl schafft?
Er schwimmt und summt… Melodien, ♫ “Ummmmm” ♫, die… machen Gefühle.
Noch treibt der Fisch nicht. Noch schwimmt er bis er entweder nur ein weiteres treibendes Ding im Gewässer ist oder wieder in einem klaren Fluss landet. Er schwimmt und summt Melodien bis… … oder bis er doch wieder in einen schönen, klaren Fluss kommt.
♫ “Ummmmm” ♫, Melodien.
Lichtblick
Ein Lichtblick also…, der ein wenig länger ineinander blickte als notwendig gewesen wäre. Von was für einer schönen Gestalt der Lichtblick doch ausging; was für eine schöne Gestalt der Lichtblick doch ist. Gerade, als er die Reflexion des Fisches verfolgte, als unser Erzähler nicht wusste, wie er nur die Melodie nicht aus dem Sinn verlieren sollte, wo es jetzt doch… — gerade da taucht sie auf, steht am Ufer des Flusses… auf unserer Welt.
Wird sie hineinsteigen? Die schöne Gestalt… und sie…
Nein… sie tut es nicht. Es war nur ein kurzer Lichtblick… jetzt ist es wieder vorbei. Der Moment ist zu Ende. War es doch nur Zufall? Ja, dann war es wohl doch wieder nur ein Zufall, auf den man sich etwas eingebildet hatte, gewesen… da war wieder nichts, wiedereinmal nur — *der Rest bleibt im Halse stecken*. Doch keine schöne Gestalt? Kein Lichtblick? Du schließt die Augen; schaust dich nicht mehr um. … Die Hoffnung?
Auf einmal wird alles ruhig — alles bleibt stehen — alles bleibt gleich. Nichts verändert sich — für immer. Alles gleich. Nur ein Fisch treibt im dreckigen Abwasser an uns vorbei. Dein letztes Bild? Oh nein. War es wirklich so schlimm gewesen? Was war falsch gelaufen? War es nicht eben noch ein schöner Fluss gewesen?
Und es bleibt so ruhig, während der Fisch langsam vorbeitreibt. Oh nein.
ENDE
Und das soll es jetzt gewesen sein?
Du schaust noch einmal genauer hin. Das kann doch nicht alles sein. Da muss es doch noch mehr geben. Es kann doch nicht einfach so vorbei sein. Ein Ende, ohne Hoffnung auf irgendetwas.
Du schüttelst den Kopf: Nein. Du blickst umher. Dann: ein Zucken im Fluss. Ein Schnappen nach Luft. Große Augen blicken verwirrt. Orientierungslos treibt er zunächst noch mehr als dass er schwimmt, dann kehrt langsam irgendwoher wieder Leben zurück in den schillernden Fisch. Die Bewegung kehrt zurück. Und schon bald ist er wieder nur ein schillernder Fisch im Gewässer als wäre nichts gewesen.
Nur ein schillernder Fisch im Gewässer.
Der schillernde Fisch? Der schillernde Fisch denkt gar nicht — er hat auch keine Gefühle. Er schwimmt nur und summt… Melodien, ♫ “Ummmmm” ♫, die ineinander übergehen und zu denen er sich bewegt. Er bewegt sich wieder, als wäre nichts gewesen und summt seine Melodien. Wieder, wie immer, als wäre nichts gewesen. Nur das ♫ “Ummmmm” ♫ blieb ihm noch. …
Wir schütteln den Kopf: es ist doch nicht alles gewesen; man muss es nur sehen. Und gerade als sich unser Kopf so von der einen auf die andere Seite bewegt, ist da im Augenwinkel wieder ein kurzer Lichtblick zu sehen. Ein Lichtblick… als Reflexion des Fisches. Eine schöne Gestalt am Ufer des Flusses. Du kennst es doch jetzt schon… nur nicht wieder die Hoffnung aufkommen lassen, sonst… aber… da steht sie doch wieder am Ufer; wieder so ein… Zufall? Oder war er erst jetzt, doch endlich weit genug geschwommen?
Da ist sie wieder… die schöne Gestalt am Ufer des Flusses. Nein, du glaubst nicht, dass es nur Zufall ist; glaubst, dass da noch mehr ist.
Und: diesmal steigt sie hinein.
Dann: ist es auf einmal aus. Es ist kurz schwarz. Bis… sie wieder auftaucht und dann hatte sich die Welt verändert. Irgendwas war anders und ich… was ich dabei denke? Ich… ich denke: “*Nichts*”, stieg ebenfalls hinein, tauche wieder auf und diesmal… veränderte sich etwas. Auf einmal höre, sehe und denke ich die schönen Seiten nicht nur — auf einmal sind sie auch wirklich da.
Was die schöne Gestalt denkt? Kann ich nicht sagen. Vielleicht ja auch: “*Nichts*”. Aber ich weiß es wirklich nicht. Ich kann nicht ausmachen, was sie ausmacht. … Aber als es wieder an ging, hatte sich etwas verändert.
Welten*****
Ein Wort also, das verpönt, weil: veraltetet — ja: unwissenschaftlich — , ist: eine Weltenseele also…, die mehr als ‘notwendig sein’ ist — und das wird ihr zum Vorwurf gemacht — ; eine Weltenseele also…, die in allem ist und die alles (und nicht nur das) verbindet; die niemand mehr sehen darf. Als was für eine schöne Idee sie trotzdem noch funkelt… in der Gestalt; im Fisch; in der, jetzt reicheren, Vorstellung; und in der, jetzt etwas verwirrt dreinblickenden, Metapher. Sie, also, die das Schicksal, so unmöglich die Veränderung auch scheint, doch ermöglicht, indem sie all das zusammenführt, ein wenig nachhilft und dir trotz allem noch die Freiheit lässt… und aufbürdet. Gerade dann, wenn du die Melodie hörst: beides. Manchmal meint man fast, dass das Aufbürden überwiegt, aber es ist zumindest die Freiheit, die aufgebürdet wird.
Und: da ist sie wieder. Die Melodie. Wieder hörst du sie. … ♫ “Ummmmm” ♫
Und wieder geschieht all das … es zieht dich unter Wasser, du schnappst nach Luft und wieder fehlen dir die Worte, aber du erinnerst dich an etwas —an einen Begriff, den du immer irgendwie schön gefunden hast. Da war doch mal etwas, das mehr als notwendig war. Und du wartest noch immer auf die Gestalt. Und eigentlich willst du etwas sagen, willst unbedingt darüber sprechen… du weißt nur nicht mit wem… und irgendwie doch, aber… dann schweigst du lieber, sprichst lieber nicht davon, weil… es ist doch nicht notwendig, oder? … Und… nun… ja, so ist sie blass geworden.
Sie ist blass geworden, die Gute. Sie hat viel ertragen müssen, wird verdrängt, unterdrückt und zurückgewiesen und kennt mittlerweile auch die Zweifel: an sich selbst. Und doch lebt sie noch immer. Es blüht nur gerade weniger aus ihr und sie ist geschwächt. Vielleicht ist es ihr Herbst, vielleicht aber auch schon Winter… so kalt und karg, wie es gerade ist, wohl eher Winter; so ausgezehrt wie vieles schon ist, wohl schon eine Weile. Aber wahrscheinlich kommt auch bald der Frühling… und doch hat sich etwas verändert. Etwas ist anders; etwas ist nicht nur wieder ein frostiger, wiederkehrender Abschnitt gewesen. Die lebensbedrohlichen Zweifel … sind neu. Sie brachten sie uns näher; ein neues Bewusstsein um mögliche Vergänglichkeit, welches uns heute auch verbindet. So fühlt sie noch mehr mit uns mit; weiß’ noch mehr darum, wie wichtig es ist, gerade diejenigen, die zweifeln, weiterhin (und noch schönere) Lichtblicke sehen zu lassen.
Aber: die Zweifel sind neu für sie… was ist sie denn noch, wenn auch sie, die doch dafür sorgen soll, dass nicht alles einfach nur vergeht, vergehen kann; wenn auch sie, die immer unendlich gedacht war, noch von etwas abhängt und womöglich sogar vergehen kann? Ja, was ist sie denn noch, wenn sie von uns abhängt? Von so flüchtigen — … *der Rest bleibt ihr im Halse stecken*
Und dann: fühlt sie sich schwach.
Aber… es kommt doch bald wieder ein Frühling. Und mit ihm neue Kraft; mit ihm, dann auch ein neues Pflänzchen aus dem Rhizom. Ein neues Pflänzchen, das seine eigene Gefühlswelt hat, in der ein Fluss fließt, in dem ein Fisch schwimmt und irgendwo entlang seines Verlaufs, vielleicht noch in weiter Ferne, vielleicht aber auch schon recht nah; irgendwo, in der Nähe des Fisches, steht eine Gestalt. Ganz bestimmt. … Nun gut… nicht ganz bestimmt, aber ein bisschen Schicksal ist eben schon auch dabei; das braucht es auch. Und im Zweifelsfall — ja, gerade dann — hilft sie auch ein wenig nach.
„Das Leben ist mir immer wie eine Pflanze vorgekommen, die aus ihrem Rhizom lebt. Ihr eigentliches Leben ist nicht sichtbar, es steckt im Rhizom. Das, was über dem Boden sichtbar wird, hält nur einen Sommer. Dann verwelkt es — eine ephemere Erscheinung. Wenn man an das endlose Werden und Vergehen des Lebens und der Kulturen denkt, erhält man den Eindruck absoluter Nichtigkeit; aber ich habe nie das Gefühl verloren für etwas, das unter dem ewigen Wechsel lebt und dauert. Was man sieht, ist die Blüte, und die vergeht. Das Rhizom dauert.“
– Carl Jung (Erinnerungen, Träume, Gedanken)
Epilogos
Ein paar Sätze muss ich noch loswerden — auch wenn sie vielleicht ein wenig aus der Luft gegriffen scheinen:
“Erstens: Der Gedanke daran, dass ein Mensch einem länger in die Augen blickte, als notwendig gewesen wäre, ist schön.
Zweitens: Vielleicht braucht es sie doch: Ursachen — ja, mehrere Ursachen; vielleicht gerade, um mehr als notwendig zu sein.
Drittens: Ein schöner Gedanke ist, wenn Sinn mehr als ‘notwendig sein’ ist.
Viertens und letztens: ‘Videre licet — es ist erlaubt zu sehen’, ist auch schön.”, finde ich. … Alles nur. Irgendwo. Auf dem Weg.
Und du? Lausch’ der Melodie.
Nur, weil alles gleich zu bleiben scheint, obwohl sich doch so viel verändert, heißt das nicht, dass sich nichts verändern kann. Und wenn es mal wieder zu begierig saugt, dann… mach weiter. Irgendwann kommt wieder ein Lichtblick. Und so einer kann dann auch wirklich etwas verändern und dann: kommt auch wieder mehr ins Leben als nur, was notwendig ist. Und im Zweifel — gerade dann — ist da auch noch mehr. Wirklich. Du musst es nur sehen. Egal, wie schwer es manchmal ist und wie hoffnungslos es scheint, musst du weiter sehen, dass da noch mehr ist; dass es nicht hoffnungslos ist.
Anmerkung:
*Soweit ich weiß, ist die Metapher zum Gedankenfluss von William James.
Marco
Kommentare von Marco Zander