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Ich lebe in Schottland. Ein Hirte in Schottland, 2019, genau! – Nein, nicht in Andalusien: in Schottland. Dreckig, nass und kalt ist es da. Schottland.

In Andalusien, da könnte man wohl auch tagsüber unter irgendwelchen Bäumen liegen und träumen – davon loszuziehen träumen, aber hier ist es nass und kalt. Wenn man da träumend irgendwo liegt, ist man zwei Tage später krank. Scheißkrank. So sieht’s aus. 

Jaja, ich (unser Hirte) hüte Schafe. 2019. I-c-h w-e-i-ß… ich weiß, dass das (mein Leben) nicht mehr zeitgemäß ist – war ich nie; weiß auch, dass man von sich nicht in der dritten Person spricht, aber noch hat sich keines meiner/ seiner/ unserer Schafe darüber beschwert.

In Schottland träumt man nachts. Und auch die Träume geben nicht viel her. Und wenn man 2019 aufgrund von Träumen aufbricht um Schätze zu finden, dann ist das heute noch bescheuerter als damals.

War ja schon damals nicht gerade helle.

Und weil unser Hirte meist den ganzen Tag nur Schafe sieht und an Frauen denkt, geht es darin – richtig – um Frauen. Außerdem – Überraschung! – viel Phallussymbolik: 

Züge rasen aufeinander zu – eine alte Dampflok müht sich den Berg hinauf und von oben kommt ein ICE hinuntergeschossen – die alte Lok mit ihren halbwegs modernen Wagons wankt kurz vor Aufprall aus den Schienen, entgeht damit dem Zusammenstoß, verliert so aber zu viel Geschwindigkeit, rollt wie in Zeitlupe den Berg hinab, um dann von einer – jap. -holden Maid mit bloßen Händen (und mithilfe einer Mülltonne als eine Art Puffer) kurz bevor sie in die Tiefen hinabgerissen würde aufgehalten zu werden.

Weil man selbst aus der Lok gesprungen war, betrachtet man all das – überraschenderweise frei von jeglichem schlechten Gewissen – von außen, oben – am Berghang sitzend -, interessiert.

Nächste Szene:
Baumstämme – einer treibt wie tot in trüben Gewässern, während man selbst den treibenden Stamm vom (selbstverständlich ringförmig um einen fest im Sumpf verankerten, strammen Weltenbaum gespannten) Baumhaus aus betrachtet. Er treibt hin zu einem Urzeit-Clan, der ihn schon bald zu einem Kleidungsstück für – richtig: – eine Frau verarbeiten wird (ihr bedeutet es doch so viel mehr ein Kleidungsstück zu tragen als dem ganzen Rest des Clans).

Wenigstens noch keine Obelisken, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Vermutlich wird’s dann ein langsam versinkender, wie ertrinkender Obelisk, um den ein enger Rettungsring geworfen wird, während aus der weiten Graslandschaft eine Fee daher-, auf ihn zu schwebt. Irgendwie sowas.


Aber, nein, nicht nur Phallussymbolik, auch allerlei Gefliege und majestätische Tiere: keine Schafe, sondern intelligente Bären mit mitfühlendem Blick, ebenso skeptische wie mutige Adler und pfeilschnelle und kraftvolle Löwen – solche, wie sie seine ruhmvollen Urahnen noch mit Steinschleudern erlegten – Auge in Auge. Genau solche sind das! Fliegen da umher, in meinen Träumen. Als wäre das alles nicht schon klischeehaft genug, fliegen Löwen umher!

Nur um mich daran zu erinnern, dass diese F*cker damals, sich wenigstens noch Sachen  getraut haben, noch Abenteuer erlebten (ob sie nun wollten oder nicht) – die mussten das, in ihrem Hirtendasein. Die hatten noch eine Herde zu hüten. ‚Leben mit windiger Steinschleuder erwehren‘ – das war die Devise. 

Die sperrte man mit 14 Jahren noch in Käfige und lies sie eine Woche, wenn schon nicht im Dschungel, dann wenigstens in der Wüste hungern! Richtig so! Danach war man ein richtiger Mann! Traumatisiert fürs Leben: ein richtiger Mann. Nur rohes Fleisch haben die gegessen und zwar nicht von glücklichen Kühen, sondern von eigenhändig niedergerungenen, nach Moschus riechend- und schmeckenden Hyänen. Richtige Männer mit echten Problemen. Gesoffen haben die noch – wie Löcher! So sieht’s aus!

Vom Leben gezeichnete Männer, die heute, zehn mal gescheitert, Unternehmen gründen, Key-Notes speaken; richtige Männer, deren Frauen Porsche fahren; die in ihrer Jugend noch mit Drogen dealten und jedes Wochenende in Clubs versumpften! Richtige Männer, die keine Probleme haben den richtigen Weg (für sich und jeden) zu sehen, ihn gehen, als falsch erkennen und mit der gleichen Überzeugung eine neue Richtung einschlagen… einschlagen! mit Fäusten wie Bratpfannen. Richtige Männer!

Unser Hirte dagegen (ich, er, wir) ringt selbst im Traum meist nur mit Menschen… – die ihm nebenbei bemerkt noch verdächtig ähnlich sind – Was? Ach, damn it!… die Erkenntnis hätte man sich auch mal sparen können. So eine Sch- – …naja wenigstens muss man da manchmal zu drastischen Maßnahmen greifen: teils werden gut gebräunten Menschen, die unter Bungalows aus der Vergangenheit wohnen, Genicke gebrochen, teils schweben – dem Gegner den Fuß auf die Brust gesetzt – Speerspitzen Millimeter über dessen durchdringenden Augen. 

„Na… hast du Angst, mein treuer, nur aus muskulösem Oberkörper bestehender Bodyguard? Ich kann dich ja gut leiden und es ehrt dich, dass du den Präsidenten schützen willst, aber er muss gehen… es ist besser so: nicht nur für mein, auch für dein Land – und die ganze Welt. Du weißt es doch auch.“

Teils jagt man ihnen als Geist siegesgewiss einen kalten Schauer über die sich als Gewinner glaubende Schultern – voller Vorfreude auf die kommende Rache.

Und tritt unser (von sich und seinem Leben leicht angewiderte) Held da als Retter auf, gibt es kaum ein Hindernis, das ihn aufhalten könnte und versagen zunächst einmal die Kräfte in Schultern und Armen, findet man dann im letzten Augenblick noch eine andere Möglichkeit, geliebte Hirtenhundsgeschöpfe vor dem Ertrinken zu retten oder über Ozeane hinweg in andere Länder zu gelangen. 

Na toll! Ich weiß doch auch: Erleb‘ doch mal was! Mach! doch mal was. Aber in so einem viel beschäftigten Hirtenleben bleibt! keine! Zeit! für Abenteuer. Die sind verschwunden – keines… k-e-i-n-e-s! meiner Schafe hat auch nur eine Idee, wo man so eines finden könnte (und dann muss das ja noch worthwile sein, nicht? – natürlich!, wenn nicht, könnt’s ja noch was werden mit dem Abenteuer) und so bleibt nur viel Zeit zum … nicht Nachdenken – so hochtrabend wollen wir so etwas nicht bezeichnen, wollen doch unsere großen Denker nicht beleidigen -, aber: zum sich Verlieren. Täglich wird sich (langsam ziehend, elendiglich) verloren, nicht wiedergefunden, es halbherzig zur Kenntnis genommen und trotzdem weitergemacht. Richtig so: ein richtiger Mann!

Und wenn dann nichts mehr da ist zum Verlieren, verliert man sich halt in Erinnerungen an Frauen aus vergangen Tagen und Tagträumen von möglichen und tatsächlichen Begegnungen am Straßenrand, zwischen Heim und Weide; nicht nur am -rand, auch mal am -strich, aber da das nun wirklich nicht ins selbstbemitleidende Schema passt, wird das schnell wieder verworfen.

Man verliert sich weiter und weiter, bis auch mal die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit aus den Augen verloren wurde. Tschüß Grenze, du bist gut weiter. Führt so dann ein souveränes Gespräch mit der zweitneusten! (wichtig, sonst läuft man noch Gefahr, es ernst zu nehmen) romantischen Begegnung – immerhin konnte man schweben und so selbstsicher und charmant das Spiel spielen;

trifft vornehm gekleidete Frauen in  Begleitung ihres purpurroten  Hausmarders (selbstredend an einer roten Leine geführt) auf dem Gipfel eines Berges. Warum auch nicht?

Überraschend oft hat man Sex auf Couchen – Jetzt mal ehrlich: Warum denn immerzu auf Couchen?

Eine Hand kommt wie aus dem Nichts und greift nach meinem Arm und bald hört man sich sagen: „Letzten Abend? Da war ich auf dem alten Nordfriedhof spazieren. Als ich sie zum ersten Mal sah, da hielt ich sie noch für eine Elfe – die blonden Haare, die weiche Haut… verdammt die weichen Hände! – und dann wurde mir klar: ist ja nur ein Traum. Deswegen sind wir dann auch rausgegangen, haben ein Glas Wein oder auch zwei oder drei getrunken und danach sind wir noch zu mir. Vier, fünf. Ein schöner Abend, eine schöne Erinnerung. Und seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.
Nun, war ja auch ne Elfe, nicht? was sollte man da anderes erwarten, nicht? Flüchtige Geschöpfe. Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann wieder. ‚Hallo Elfe‘, heißt es dann. Und es hilft auch nichts weiter und weiter nach ihr zu suchen; denn so wird das nichts; vielleicht läuft man sich eines Tages wieder zufällig über den Weg. Nur eines kann ich dir sagen: Sicher nicht, wenn du dich auf den Weg machst um sie zu finden. Vieles findet man so – keine Elfen.“

Und immer weiter, weiter geht’s mit derlei Dingen. Neuerdings fühlen sich dann auch noch Auf-der-Straße-Leber von wunderschönen, temperamentvollen serbischen Frauen unter Trauerweiden zutiefst verstanden… also sehr temperamentvoll… man könnte auch sagen so die Art von Frau, die den ganzen Farbkasten des Lebens in seiner Intensität gleichzeitig spürt. Dabei regnet es natürlich – selbstverständlich regnet es… muss ja so sein… sind ja ihre Lieblingstage, die Regentage – , nur unsere beiden sich zutiefst verstehenden Farbkastenspürer sitzen im Trockenen und im Hintergrund läuft dramatische Musik, wird immer lauter … selbstverständlich läuft da dramatische Musik und wird immer lauter.

So fühlen sich dann eben Auf-der-Straße-Leber zutiefst verstanden, als sie davon berichten, wie sie damals alles auf eine Karte gesetzt hatten. Es gab doch sogar Videos als Beweis: der aufstrebende Youngstar… alles auf die eine Karte, ein professioneller Footballer zu werden. Und jetzt – mit dieser Verständnis, in diesem Moment, als sie ihn in die Arme schließen will, da – endlich! – war man bereit zusammen in eine Zukunft zu gehen, eine Zukunft mit einem richtigen Beruf, sogar in einen der keine Berufung ist, den man aber macht, ausübt.

Und natürlich geht es weiter, immer weiter: mehr Frauen, mehr Züge, mehr Phallussymbolik, mehr Hirtenhunde, mehr… aber lassen wir das. Ein andermal…

Sind ja alles nur Träume, weil im echten Leben: Jeden Tag nur Nieselregen und fu***** Schafe auf der Weide. Gibt nichts zu erzählen und ist nicht mal so, dass diese Träume irgendwelche Berufungen beinhalten würden – nein, keine Berufung, nur die eine oder andere Versuchung, die mal glücklich aufwachend, sich zurückwünschend, mal erleichtert nur in einem Traum gefangen zu sein, erinnert werden.

Noch nicht einmal schweißgebadet wacht man auf, geschweige denn, dass Träume sich wiederholen würden! Sind nur weird (nun auch nicht wirklich erwähnenswert bei Träumen) und dann doch wieder die immer gleichen Themen. Keine ägyptischen Pyramiden mit Schätzen, die zum Aufbruch rufen; nur allerlei Gefliege und jaja schon irgendwelche Aufrufe, aber nirgendwo hin. Und wahrscheinlich verebben auch die Träume schon bald, weil zu wenig passiert, als das noch irgendwas geträumt werden müsste. 

Aber auch der Vorwurf wird emotionslos abgenickt. Noch drei, vier solcher Vorwürfe stehen auf der Daily-Self-Reproach-Checklist. Dann kann man sich auch schlafen legen, um dann morgens frisch, mit neuen Vorwürfen im Gepäck in den Tag zu starten.


Der Tag beginnt. Und während ein Taxi ein Mädchen mit zerwühlten Haar vor der Haustür abliefert, werden im Hinterkopf die Fortschritte mit der Traumfrauenwelt penibel dokumentiert: „Oho. Ein guter Frauentraum, ein schönes Zusammensein, ein Sich-geborgen-Fühlen, ein Hoffnungsschimmer am Horizont. – Hoffnung… jaja die Hoffnung: tückisch, blind., bei den Griechen letztes Übel Pandoras‘ Büchse., hält vom Handeln ab, verlängert die Qual., verhindert Platz für Neues, Echtes?

Heute freut sich unsereins darüber. Und auch das ist doch schon wieder veraltet, nicht?

Erst war die Hoffnung schlecht, wurde kritisch beäugt, dann wurd‘ sie mitleidsethisch gut? nun zumindest christlich gut und jetzt? Ist auch das vorbei? Ist sie jetzt nichts? Und unsereins: freut sich darüber. Ta! da zeigt’s sich eben: hängengeblieben und faul: nichts will er tun, der junge Held. Sehr gut, junger Held. Hervorragend, junger Held! Ganz großartig machst du das, junger Held.“

Und wieder können wir einen Haken setzen, während noch jemand mit einem kleinen Reminder nachtritt: „Ey! Die dumme Nutte kommt sicher gerade von irgendeinem One-Night-Stand nach Hause!

Na, neidisch, mein Lieber?

Andere Menschen, die erleben wenigstens etwas, setzen sich sich Gefahren aus, driften dabei auch mal vom rechten Weg ab. Da ist der notwendige Blickkontakt zum Abgrund da – der Blick wird immer irrer, die Züge immer gezeichneter. Dieses toxische Schaufensterpuppenmädchen zum Beispiel, das sich unergründlicher Weise noch Jahre nach ein, zwei… vielleicht drei gemeinsamen Mittagspausen unter Schafen für unseren Hirten interessierte – die driftet wenigstens ab. Drei, vier… vielleicht fünf gute Jahre bleiben ihr noch, aber dann… ob sie den Anschluss wohl mittlerweile schon vollkommen verloren hat?

Ja. Das kann so leicht passieren. Wenn man einmal raus ist, aus dem Netzwerk, nicht mehr auf dem Pfad bleibt, die Verbindungen langsam verliert, neue hinzukommen – hinabziehende hinzukommen! – Nein, nein, ich darf den Anschluss nie verlieren! …
Ob sie den Point of no Return wohl bereits erreicht hat? – Aber sie… wenigstens hat sie etwas erlebt, sich in Gefahr gebracht, ist hinabgestiegen in Unterwelten und dann… na, so jemand kann dann mal etwas berichten, kann dann wie ein Phönix aus der Asche steigen, eine revolutionäre psychologische Wiedergeburt – „Ich bin durch die tiefsten Tiefen gegangen und jetzt bin ich geläutert; ich war im Bauch des Wales und nach drei Tagen und Nächten spuckte er mich wieder aus; ich habe alles gesehen und jetzt bin ich angekommen„, so ungefähr – na, so jemand kann wenigstens von sich behaupten, angekommen zu sein, etwas erlebt zu haben, während du…

Und so sind dann auch der vierte und fünfte Haken auf der Vorwurfsliste gesetzt und unser Held kann sich seinem wohlverdienten Schlaf anheimgeben. 

Schottland bei Nieselregen, 2019.
Gute. Nacht.